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Allgemein | KI | Public Domain | Urheberrecht

von | Apr. 2025

Freiheit für alle? Wenn Kultur und Recht weltweit aufeinandertreffen

Kulturelle Freiheit mit Grenzen – Warum freie Werke nicht überall frei sind

Darf ich Botticellis „Geburt der Venus“ auf ein T-Shirt drucken? Kann ich ein Porträt von Frida Kahlo auf meiner Website verwenden, wenn sie in Europa schon als gemeinfrei gilt, in Mexiko aber noch urheberrechtlich geschützt ist? Und wie verhält es sich, wenn ein KI-System mit Gedichten trainiert wird, die in einem Land bereits gemeinfrei sind, in einem anderen aber noch dem Urheberrecht unterliegen?

Diese Fragen führen mitten in die Diskussion um die sogenannte Public Domain. Gemeint sind Werke, die nicht mehr dem Urheberrechtsschutz unterliegen und daher von allen frei genutzt, verändert und verbreitet werden dürfen, jedenfalls in der Theorie. In der Praxis ist die Rechtslage jedoch deutlich komplizierter. Denn was in einem Land als gemeinfrei gilt, kann in einem anderen nach wie vor urheberrechtlich geschützt sein. Und im digitalen Raum, in dem Inhalte weltweit abrufbar sind, entsteht daraus eine Vielzahl rechtlicher Herausforderungen.

Der folgende Beitrag beleuchtet, was Public Domain eigentlich bedeutet, warum sie für Kultur, Bildung und Innovation von zentraler Bedeutung ist und wie das Urheberrecht mit den Problemen umgeht, die sich aus unterschiedlichen nationalen Schutzfristen ergeben. Zugleich wird der Blick auf die Gegenwart und Zukunft gerichtet: Welche Rolle spielt die Gemeinfreiheit im Zeitalter der Digitalisierung und künstlichen Intelligenz? Und wie könnte ein modernes Urheberrecht auf diese Herausforderungen reagieren?

Public Domain und Gemeinfreiheit: Begriffe und Bedeutung

Bevor wir die konkreten rechtlichen Probleme vertiefen, lohnt sich ein Blick auf die grundlegenden Begriffe: Was genau meint die sogenannte Public Domain und wie unterscheidet sich dieser Begriff vom deutschen Verständnis der Gemeinfreiheit? Eine präzise Begriffsklärung ist notwendig, um die rechtlichen Fallstricke grenzüberschreitender Werknutzung überhaupt erkennen zu können.

Der Begriff „Public Domain“ stammt aus dem angloamerikanischen Rechtskreis und bezeichnet Werke, die keinem urheberrechtlichen Schutz mehr unterliegen. Sie gehören der Allgemeinheit und dürfen ohne Genehmigung für jegliche Zwecke verwendet werden. Im deutschen Sprachgebrauch hat sich dafür der Begriff „Gemeinfreiheit“ etabliert. Gemeinfrei sind dabei nicht nur Werke, deren Schutzfrist abgelaufen ist, sondern auch solche, die von vornherein nicht schutzfähig sind, etwa einfache Gestaltungen, denen die notwendige Schöpfungshöhe fehlt, oder amtliche Werke wie Gesetze und Verordnungen, die nach deutschem Recht ausdrücklich vom Urheberrechtsschutz ausgenommen sind.

Dabei ist jedoch Vorsicht geboten: Die Begriffe „Public Domain“ und „Gemeinfreiheit“ sind zwar vergleichbar, aber nicht deckungsgleich. Beachtet werden muss, dass die Rechtsordnungen verschiedener Länder, insbesondere im Bereich des Urheberrechts, in vielfacher Hinsicht voneinander abweichen. So kann ein Werk in den USA aufgrund seiner Einordnung als „Public Domain“ frei nutz- und verwertbar sein, während es in Deutschland weiterhin urheberrechtlich geschützt oder mit fortwirkenden Urheberpersönlichkeitsrechten behaftet ist. Dies gilt umso mehr, da im Common Law-System der USA andere Begrifflichkeiten und dogmatische Strukturen herrschen: Begriffe wie „Copyright“ und „Public Domain“ lassen sich nicht ohne Weiteres auf die kontinentaleuropäischen Konzepte der „Urheberschaft“ und „Gemeinfreiheit“ übertragen. Eine pauschale Gleichsetzung ist daher unzulässig, insbesondere bei grenzüberschreitender Nutzung.

Kulturelle Freiheit als Grundlage von Bildung und Kreativität

Warum aber ist dieser Bereich überhaupt so bedeutsam? Weil der freie Zugang zu kulturellen Inhalten weit mehr ist als eine rechtliche Frage – er ist eine grundlegende Voraussetzung für Bildung, kreative Entfaltung und den Erhalt unseres kulturellen Erbes. Die Public Domain spielt in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle: Sie ermöglicht den offenen Zugang zu Wissen, künstlerischen Werken und historischen Materialien. Werke, die keiner urheberrechtlichen Einschränkung mehr unterliegen, können frei kopiert, bearbeitet, verbreitet und sogar kommerziell genutzt werden. Auf diese Weise wird nicht nur kulturelle Teilhabe gefördert, sondern auch Raum für Innovation, Forschung und künstlerische Weiterentwicklung geschaffen. Viele der bedeutendsten kulturellen Produktionen der Menschheitsgeschichte, von den Dramen Shakespeares bis zu den Kompositionen Mozarts, sind heute frei verfügbar und bilden eine unerschöpfliche Quelle für kreative Auseinandersetzung.

Was das in der Praxis bedeutet?

Ein Theaterprojekt an einer Schule kann kostenlos Shakespeares Hamlet inszenieren, modernisiert, verkürzt oder aktualisiert, ohne Lizenzgebühren zahlen zu müssen. Eine Musikerin kann ein Motiv aus einer Beethoven-Sinfonie samplen und daraus einen neuen Popsong machen. Oder ein digitales Bildungsprojekt kann alte Landkarten aus Archiven nutzen, um eine interaktive Lernplattform zu gestalten, ganz legal und ohne komplizierte Rechteklärung.

Die Public Domain schafft somit einen gemeinsamen, offenen Fundus, aus dem sich Kreative, Forschende und Bildungsakteure bedienen können. Hierdurch wird eine Grundlage geschaffen, auf der ganze Generationen aufbauen können.

Rechtsvergleich: Deutschland, USA, Italien

Doch welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Werk überhaupt frei nutzbar wird? Und wie lange dauert es, bis dieser Zustand eintritt? Die Antworten darauf hängen stark vom jeweiligen nationalen Urheberrecht ab, denn die Regelungen zur Schutzdauer, zum Persönlichkeitsrecht und zur Möglichkeit des Rechteverzichts unterscheiden sich teils erheblich. Ein Blick über die Grenzen zeigt, wie unterschiedlich der Umgang mit der ,,Public Domain“ weltweit ausgestaltet ist.

In Deutschland wird ein Werk in der Regel 70 Jahre nach dem Tod seines Urhebers gemeinfrei. Diese zeitliche Begrenzung des Schutzes ist gesetzlich bewusst vorgesehen: Die Allgemeinheit soll nach Ablauf einer angemessenen Schutzfrist Zugang zu kulturell bedeutsamen Werken erhalten. Die Idee eines „ewigen Urheberrechts“ wurde vom Gesetzgeber bewusst verworfen, auch wenn immer wieder Vorschläge wie eine Abgabe auf die Nutzung gemeinfreier Werke, etwa in Form eines sogenannten „Goethegroschens“, diskutiert wurden, jedoch letztlich nie Gesetzeskraft erlangten.

Ein vollständiger Verzicht auf das Urheberrecht ist im deutschen Recht grundsätzlich nicht möglich. Das Urheberrecht ist untrennbar mit der Person des Urhebers verbunden und kann daher nicht vollständig übertragen oder aufgegeben werden. Stattdessen können Dritten lediglich Nutzungsrechte eingeräumt werden, in der Regel durch Abschluss eines Lizenzvertrags, der dem Lizenznehmer bestimmte Verwertungsbefugnisse gewährt, während der Urheber eine Vergütung, etwa in Form von Lizenzgebühren, erhält. Er behält daher regelmäßig bestimmte Rechte, insbesondere aus dem Bereich des Urheberpersönlichkeitsrechts, die nicht abdingbar sind.

Ein fiktives Beispiel: Ein Verlag möchte im Jahr 2025 eine kommentierte Ausgabe von Thomas Manns Roman Der Zauberberg veröffentlichen. Da Mann 1955 verstorben ist, ist das Werk ab Januar 2026 gemeinfrei. Der Verlag darf es dann ohne Lizenz veröffentlichen. Aber: Eine vollständige Aufgabe von Urheberrechten durch den Autor schon zu Lebzeiten wäre in Deutschland gar nicht möglich gewesen, weil das Urheberrecht untrennbar mit der Person des Urhebers verbunden ist. Nur Nutzungsrechte, etwa zur Veröffentlichung oder Bearbeitung, können übertragen werden.

In den USA hingegen ist die rechtliche Ausgestaltung deutlich flexibler. Dort fehlt ein entsprechendes Persönlichkeitsrecht, wie es das deutsche Recht kennt ( §§ 12 ff. UrhG), weitgehend. Werke wie Bücher, Musikstücke oder Filme unterstehen dem Schutz des sogenannten Copyright Law. Die Rechte an einem solchen Werk liegen beim Copyright Holder, also dem Rechteinhaber. Dieser wird mit einer Reihe ausschließlicher Verwertungsrechte ausgestattet. Anders als in Deutschland kann der Urheber in den USA unter bestimmten Voraussetzungen sein  „Copyright“ freiwillig aufgeben und das Werk in die ,,public domain“ überführen. Möglich wird dies durch ein anderes Verständnis von geistigem Eigentum: Während im deutschen Urheberrecht der Schutz der künstlerischen Persönlichkeit des Schöpfers im Mittelpunkt steht, fokussiert das US-amerikanische Copyright primär auf den wirtschaftlichen Wert des Werkes. Ein besonders anschauliches Beispiel für diesen pragmatischeren Umgang mit geistigem Eigentum zeigt sich bei staatlich geschaffenen Werken. In den USA sind alle Inhalte, die von Bundesangestellten in Ausübung ihres Amtes erstellt wurden, automatisch gemeinfrei. Dies gilt etwa für Gesetzestexte oder amtliche Publikationen. Ein bekanntes Beispiel sind die Bild- und Videomaterialien der NASA, etwa von der Mondlandung. Diese dürfen ohne Lizenz verwendet, verändert oder kommerziell genutzt werden.

Auch die Berechnung der Schutzfristen unterscheidet sich  grundlegend. Während das deutsche Urheberrecht die Schutzdauer an das Leben des Urhebers knüpft – also 70 Jahre post mortem auctoris –, gilt im US-amerikanischen Recht bei älteren Werken häufig eine feste Schutzfrist ab Veröffentlichung, etwa 95 Jahre bei Werken, die vor dem 1. Januar 1978 erschienen sind. Diese unterschiedliche Handhabung der Fristen reflektiert nicht nur technische Rechtsunterschiede, sondern auch kulturelle Divergenzen in der Auffassung von geistigem Eigentum: Während die USA mit einer klaren Schutzdauer nach Veröffentlichung die freie Verbreitung von Wissen und Kultur nach einer gewissen Zeit fördern möchten, betont das deutsche System die individuelle Würdigung des Lebenswerks des Künstlers. Der Urheber steht hier stärker im Zentrum als das Werk selbst.

Ein besonders illustrativer Sonderfall ist Italien. Zwar kennt das italienische Recht ebenfalls die Gemeinfreiheit nach Ablauf der Schutzfrist, doch treten dort zusätzliche Einschränkungen durch nationale Kulturgüterschutzgesetze hinzu. Werke in öffentlichem Besitz, insbesondere solche in staatlichen Museen, unterliegen teilweise strengen Reproduktionsregelungen. Ein prominentes Beispiel ist der Fall Jean-Paul Gaultier, der wegen der Nutzung von Botticellis „Geburt der Venus“ auf Modeartikeln ohne Genehmigung juristisch belangt wurde – obwohl das Werk selbst längst gemeinfrei war. Hier zeigt sich deutlich: Auch außerhalb des Urheberrechts können nationale Sonderregelungen die Nutzung gemeinfreier Werke erheblich einschränken.

Das Schutzlandprinzip und die Grenzen der Harmonisierung

Die unterschiedlichen nationalen Regelungen zu Schutzfristen, Persönlichkeitsrechten und Rechteverzicht machen deutlich: Urheberrecht ist kein global einheitliches Regelwerk, sondern ein vielschichtiges Geflecht nationaler Normen. Doch wie lässt sich mit dieser Vielfalt umgehen, wenn ein Werk über Landesgrenzen hinweg verbreitet oder genutzt wird? Genau an dieser Stelle setzt das sogenannte Schutzlandprinzip an – ein zentraler Mechanismus zur Bestimmung des anwendbaren Rechts bei grenzüberschreitenden Nutzungshandlungen.

Im internationalen Recht existiert kein weltweit einheitliches Urheberrecht. Stattdessen gilt, wie bei anderen Immaterialgüterrechten das Territorialitätsprinzip: Jedes Land verfügt über sein eigenes Urheberrecht, das ausschließlich innerhalb seiner Staatsgrenzen Wirkung entfaltet. Wird ein Werk grenzüberschreitend verbreitet, unterliegt es somit gleichzeitig mehreren nationalen Rechtsordnungen. In der Rechtswissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von der sogenannten Bündeltheorie: Der Urheber besitzt nicht ein universelles, sondern ein „Bündel“ nationaler Rechte, deren Inhalt, Umfang und Schutzdauer sich je nach Land erheblich unterscheiden können.

Zur Bewältigung der daraus resultierenden Kollisionen wurde das Schutzlandprinzip entwickelt, auch bekannt als lex loci protectionis. Es besagt, dass bei urheberrechtlichen Streitfragen des Urheberrechtsschutzes stets das Recht des Staates Anwendung findet, für dessen Gebiet der Schutz beansprucht wird. Maßgeblich ist also nicht der Ort der Veröffentlichung oder der Sitz des Urhebers, sondern das Land, in dem der Schutz durchgesetzt werden soll.

Dieser Grundsatz ist mittlerweile in vielen internationalen Abkommen verankert – insbesondere in der Berner Übereinkunft, im TRIPS-Abkommen sowie im europäischen Kollisionsrecht, wo Art. 8 der Rom-II-Verordnung ausdrücklich festlegt, dass auf außervertragliche Schuldverhältnisse im Zusammenhang mit geistigem Eigentum das Recht des Schutzlandes Anwendung findet. Auch die ständige Rechtsprechung hier zu Lande ordnet das gesamte Urheberrecht dem Schutzlandprinzip unter.

Doch mit der fortschreitenden Digitalisierung und dem Einsatz moderner Kommunikationstechnologien insbesondere im Internet stellt das geltende Urheberrecht vor nie dagewesene Herausforderungen. Werke werden längst nicht mehr ausschließlich lokal rezipiert oder verbreitet. Sie sind weltweit online zugänglich. Angesichts dieser Entwicklung wird in der Fachwelt  zunehmend infrage gestellt, ob das Territorialitätsprinzip im digitalen Zeitalter überhaupt im Urheberrecht noch zeitgemäß ist. Überwiegend wird dies jedoch verneint. Dies wird unter anderem damit begründet, dass die Bündeltheorie, die dem Urheber eine Vielzahl nationaler Schutzrechte zuspricht, in Zeiten weltweiter Inhaltsverbreitung nicht mehr praktikabel sei. Sie führe zu Rechtsunsicherheit, unnötiger Komplexität und behindere die internationale Vermarktung urheberrechtlich geschützter Werke. Vor diesem Hintergrund fordern Stimmen aus der Wissenschaft und Praxis eine Abkehr vom Territorialitätsprinzip zugunsten eines Universalitätsprinzips. Dieses Konzept strebt die Schaffung eines einheitlichen, global geltenden Urheberrechts an, das für sämtliche grenzüberschreitenden Nutzungssachverhalte gelten soll – unabhängig vom jeweiligen Ort der Verwertung. Ein solches Welturheberrecht müsste nicht nur die wirtschaftlichen Interessen der Urheber, Künstler und Produzenten berücksichtigen, sondern auch die Urheberpersönlichkeitsrechte umfassend wahren. Unter dem Aspekt der ökonomischen Vernunft, insbesondere der Freiheit des Warenverkehrs und der globalen kulturellen Verwertung, erscheint dieser Ansatz zunehmend zwingend. Gleichwohl bleibt die Umsetzung eines solchen Universalrechts bislang visionär. In der Zwischenzeit werden in der Rechtswissenschaft alternative Ansätze diskutiert. Hierbei stehen verschiedene Reformmodelle zur Debatte, wie etwa das Ursprungslandprinzip, das die maßgebliche Rechtsordnung am Ort der ersten Veröffentlichung festmacht . Kritiker warnen hier vor „Rechtsstandort-Optimierung“ durch gezielte Erstveröffentlichung in Ländern mit schwachem Schutz. Andere Modelle schlagen vor, zwischen Entstehung, Inhaberschaft und Verletzungsfragen differenziert anzuknüpfen – mit gemischten Regelungskonzepten aus Ursprungs- und Schutzlandrecht. Auch die Anknüpfung an den Ort der digitalen Dienstleistungserbringung wird erwogen. Dieses Verfahren könnte für digitale Nutzungshandlungen praktikabler sein, wird aber zu Recht kritisiert, weil es die Schutzstandards durch Standortwahl leicht unterlaufen könnte.

Solange keine internationale Einigung über eine umfassende Harmonisierung erzielt wird, bleibt das Schutzlandprinzip der zentrale Anker im internationalen Urheberrecht. Ein Anker, der im Sturm der globalen Digitalisierung zunehmend schwerfällig wirkt.

Fallbeispiel Frida Kahlo: Gemeinfrei in Europa, geschützt in Mexiko

Wie komplex und praxisrelevant das Schutzlandprinzip im digitalen Raum tatsächlich ist, zeigt sich eindrucksvoll am Fall der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo. Die Malerin starb 1954 in Mexiko-Stadt. Nach dem Urheberrecht der Europäischen Union ist das Werk eines Urhebers 70 Jahre nach dessen Tod gemeinfrei, womit Kahlos Werke in der EU seit dem 1. Januar 2025 frei verwendet werden dürfen. Museen, Plattformen oder Verlage können ihre Bilder publizieren, bearbeiten oder kommerziell nutzen – jedenfalls aus europäischer Sicht.

Doch in Mexiko gilt eine andere Regelung: Dort tritt die Gemeinfreiheit erst 100 Jahre nach dem Tod des Urhebers ein – die weltweit längste Schutzfrist. Frida Kahlos Werke bleiben damit in ihrer Heimat bis zum Jahr 2054 vollumfänglich geschützt. Die rechtliche Bewertung hängt somit maßgeblich vom jeweiligen Schutzland ab: Was in Europa als gemeinfrei gilt, ist in Mexiko nach wie vor urheberrechtlich geschützt.

Was bedeutet das konkret für die Praxis? Ein europäisches Modelabel darf rechtlich sicher T-Shirts mit Kahlo-Porträts herstellen und vertreiben, solange sich das Angebot nicht gezielt an den mexikanischen Markt richtet. Denn innerhalb der EU besteht kein urheberrechtlicher Schutz mehr. Nach dem Schutzlandprinzip bleibt der mexikanische Schutz nur dann relevant, wenn die Nutzung auch tatsächlich in Mexiko erfolgt.

Anders liegt der Fall im Internet: Inhalte sind dort grundsätzlich weltweit abrufbar, auch in Mexiko. Entscheidend ist daher, an welches Publikum sich das Angebot richtet. Ein deutschsprachiger Blog, der klar auf ein europäisches Publikum ausgerichtet ist, kann Kahlos Werke abbilden. Eine spanischsprachige Website mit Zielgruppe in Lateinamerika muss hingegen die mexikanische Schutzfrist respektieren.

Besonders deutlich wird dieser Unterschied am Beispiel von Wikipedia: Die deutschsprachige Version kann seit 2025 Frida Kahlos Werke rechtssicher darstellen. Die spanischsprachige Ausgabe hingegen, die auch mexikanische Nutzer anspricht, darf dies hingegen erst im Jahr 2054. Das Fallbeispiel zeigt nicht nur die rechtliche Sprengkraft des Schutzlandprinzips, sondern macht auch deutlich, wie stark die Realität des digitalen Raums mit einem nationalstaatlich geprägten Urheberrecht in Konflikt gerät.

Wenn Maschinen lernen – und Rechte verletzen?

Dass sich das Schutzlandprinzip nicht nur auf die klassische Werknutzung, sondern auch auf moderne Technologien auswirkt, zeigt sich besonders deutlich im Kontext künstlicher Intelligenz. Denn wenn digitale Inhalte weltweit verarbeitet, verbreitet und durch Maschinen weiterentwickelt werden, stellt sich die Frage: Wie lässt sich Urheberrecht in einer Welt regulieren, in der nationale Grenzen technisch längst keine Rolle mehr spielen?

Ein aktuelles Spannungsfeld betrifft die territoriale Reichweite der urheberrechtlichen Regelungen im Rahmen der neuen EU KI-VO. Insbesondere stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang diese Vorschriften auch dann gelten sollen, wenn das Training eines KI-Modells außerhalb der EU erfolgt, die Technologie jedoch anschließend innerhalb der Union vertrieben oder genutzt wird. Gesetzlicher Ausgangspunkt der Überlegungen sind Art. 2 KI-VO sowie Art. 53 I lit. c KI-VO, welcher für KI-Modelle mit allgemeinem Verwendungszweck gilt. Ergänzend sind die Erwägungsgründe 106 und 108 der KI-VO sowie die Regelungen des internationalen Privatrechts und der internationalen Urheberrechtsverträge zu berücksichtigen.

Stellen wir uns folgendes Szenario vor:  Ein US-Unternehmen trainiert eine KI mit Werken, die in den USA bereits als public domain gelten, etwa weil sie dort seit über 95 Jahren veröffentlicht sind. In Deutschland wären viele dieser Werke jedoch noch urheberrechtlich geschützt, da hier die Schutzfrist 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers beträgt. Wird die KI anschließend auf dem deutschen Markt angeboten oder genutzt, kann dies, trotz rechtmäßigem Training in den USA, eine Urheberrechtsverletzung darstellen.

Die KI-VO selbst und insbesondere Art. 53 I lit. c und d KI-VO enthalten keine ausdrückliche Regelung zur Anwendbarkeit des europäischen Urheberrechts auf KI-Trainingsvorgänge im Ausland. Nach den bislang geltenden Grundsätzen des internationalen Urheberrechts, insbesondere dem Territorialitätsprinzip und dem damit verbundenen Schutzlandprinzip, findet das EU-Urheberrecht auf Handlungen außerhalb des europäischen Rechtsraums grundsätzlich keine Anwendung.

Gleichwohl gibt es  Stimmen, die eine mittelbare, fiktive oder hypothetische Anwendung des EU-Urheberrechts auf KI-Systeme fordern, sofern diese in der Union auf den Markt gebracht werden. Vertreter dieser Auffassung argumentieren, dass zumindest der Erwägungsgrund 106 KI-VO dahingehend auszulegen sei, dass das Training generativer KI mit urheberrechtlich geschützten Werken außerhalb der EU dennoch an die europäischen Urheberrechtsstandards gebunden sein sollte, etwa im Sinne eines Produktsicherheits- oder Compliance-Erfordernisses. Der Gedanke: Wer seine KI im EU-Binnenmarkt anbieten will, muss sicherstellen, dass die Trainingsdaten den in der Union geltenden urheberrechtlichen Anforderungen entsprechen, unabhängig vom tatsächlichen Ort des Trainings.

Kritiker warnen jedoch, dass ein solches Konzept in der Praxis einer extraterritorialenAnwendung des EU-Urheberrechts gleichkäme und damit mit dem international anerkannten Territorialitäts- und Schutzlandprinzip in Konflikt geriete. Dieses bildet seit Langem das Fundament des internationalen Urheberrechtsschutzes und ist etwa in der Berner Übereinkunft und dem TRIPS-Übereinkommen fest verankert. Rechteinhaber sollen demnach im Verletzungsfall im jeweiligen Schutzland gegen Urheberrechtsverstöße vorgehen können, nicht jedoch auf Grundlage einer hypothetisch anzuwendenden Drittstaatenregelung.

Zudem würde eine solche extraterritoriale Anwendung zu einer Doppelbelastung nicht-europäischer Anbieter führen. Sie müssten beim KI-Training gleichzeitig das eigene nationale Urheberrecht und zusätzlich das europäische beachten. Dies könnte in der Konsequenz auch wettbewerbsrechtliche Ungleichbehandlungen begründen, da Anbieter aus Drittstaaten strengeren Anforderungen unterlägen als solche mit Sitz in der EU, was einen möglicher Verstoß gegen das Prinzip der Inländergleichbehandlung nach Art. 5 I RBÜ darstellen könnte.

Zwar mag das Ziel, einheitliche Standards für Anbieter generativer KI zu schaffen, aus marktregulatorischer Sicht nachvollziehbar erscheinen. Jedoch bleibt fraglich, ob die Konstruktion einer „produktbezogenen Anwendung“ des EU-Urheberrechts hier nicht lediglich eine verdeckte Umgehung der geltenden urheberrechtlichen Anwendungsgrenzen darstellt. Auch das Argument, die extraterritoriale Wirkung diene lediglich der Fairness auf dem Binnenmarkt, überzeugt nicht durchweg, denn es verkennt, dass etwaige praktische Rechtsdurchsetzungsprobleme kein KI-spezifisches Phänomen, sondern eine allgemeine Herausforderung grenzüberschreitender Sachverhalte darstellen.

Letztlich sprechen gute Gründe dafür, auch im Kontext von KI-Systemen, die außerhalb der Union trainiert werden, an den bewährten Grundsätzen des Territorialitäts- und Schutzlandprinzips festzuhalten. Diese haben sich als effizientes und konsistentes Fundament des internationalen Urheberrechtsschutzes bewährt.

Gleichwohl zeigt sich an dieser Debatte aber auch, dass das bestehende System an seine Grenzen stößt, insbesondere dann, wenn Inhalte grenzüberschreitend und automatisiert verarbeitet werden. Es sollte zumindest in Erwägung gezogen werden ein Mindestmaß an rechtlicher Einheitlichkeit für dies digitalen Konstellationen zu schaffen, ohne den bewährten Rahmen des Territorialitätsprinzips vollständig zu verlassen. Demnach könnte eine mögliche Lösung sein, etwa das Recht des Ortes der Erstveröffentlichung, den Wohnsitz des Urhebers oder den Ort des KI-Trainings selbst als einheitlichen Anknüpfungspunkt festzulegen.

Bis dahin bleibt das Training generativer KI mit vermeintlich gemeinfreien Werken ein hochriskanter rechtlicher Graubereich. Denn solange keine klare gesetzliche Regelung oder internationale Einigung über den urheberrechtlichen Umgang mit KI-Trainingsdaten besteht, bleibt ungewiss, welche Standards tatsächlich einzuhalten sind, insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten. Die Gefahr rechtlicher Konflikte, etwa durch kollidierende Schutzfristen oder widersprüchliche nationale Regelungen, ist damit real und dürfte auch in Zukunft ein zentrales Thema der urheberrechtlichen Praxis bleiben

Fazit: Freiheit braucht Klarheit

Ob analoge Kunst oder maschinelles Lernen – überall dort, wo Werke grenzüberschreitend genutzt werden, stoßen herkömmliche urheberrechtliche Strukturen an ihre Grenzen. Die Herausforderungen, die sich im digitalen Zeitalter rund um die Public Domain ergeben, sind vielschichtig und sie zeigen deutlich: Es braucht klare, praktikable und zukunftsorientierte Lösungen.

Die Public Domain ist ein zentrales Element eines ausgewogenen Urheberrechts. Sie schafft Raum für kulturelle Teilhabe, Bildung und kreative Weiterentwicklung und bildet damit eine wesentliche Grundlage für gesellschaftlichen Fortschritt. Doch gerade in einer zunehmend digitalisierten und globalisierten Welt wird ihre Wirksamkeit zunehmend durch Rechtsunsicherheit und nationale Fragmentierung erheblich eingeschränkt. Unterschiedliche Schutzfristen, abweichende nationale Regelungen und das weiterhin dominierende Territorialitätsprinzip erschweren eine verlässliche Nutzung gemeinfreier Werke, insbesondere dann, wenn Inhalte grenzüberschreitend oder algorithmisch verarbeitet, weltweit bereitgestellt oder als Trainingsdaten für KI verwendet werden.

Zukunftsfähig wird das Urheberrecht nur sein, wenn es transparenter, international anschlussfähiger und technikoffener ausgestaltet wird. Erste Ansätze liegen auf dem Tisch: von internationalen Public-Domain-Registern, die eine einheitliche Rechtslage dokumentieren, bis hin zu einer Harmonisierung der Schutzfristen oder der Entwicklung neuer Anknüpfungskonzepte für digitale Nutzungshandlungen.

Klar ist: Die Gemeinfreiheit ist kein statischer Zustand. Sie ist ein lebendiges Rechtsprinzip – im ständigen Spannungsfeld zwischen individueller Kreativität und kollektiver Kultur. Ihre Weiterentwicklung wird entscheidend dafür sein, wie frei und verantwortungsvoll wir künftig mit unserem kulturellen Erbe, ob analog oder digital generiert, umgehen dürfen.

Freiheit für alle? Wenn Kultur und Recht weltweit aufeinandertreffen

 

Gemeinfreie Werke rechtssicher nutzen.

1. Schutzland prüfen

 

Ein Werk kann in einem Land gemeinfrei sein, in einem anderen aber noch geschützt. Entscheidend ist stets das Recht des Landes, in dem Sie es nutzen wollen.

2. Verlässliche Inhalte nutzen

 

Greifen Sie auf gemeinfreie Inhalte aus öffentlichen Archiven oder Open-Content-Plattformen zurück (z. B. Europeana, DDB, NASA, CC0-Materialien.

3. Quellenangabe trotz Gemeinfreiheit

 

Auch wenn für gemeinfreie Werke rechtlich keine Pflicht zur Quellenangabe besteht, ist es aus Gründen der Transparenz und Wertschätzung empfehlenswert, den Urheber, sofern bekannt, sowie die Herkunft des Werks zu benennen. Dies schafft nicht nur Kontext, sondern würdigt auch die kreative Leistung. Wenn Sie beispielsweise ein gemeinfreies Gemälde von Vincent van Gogh verwenden, können Sie den Namen des Künstlers, den Titel des Werks sowie die Sammlung oder das Museum angeben, in dem sich das Original befindet.

4. Kulturelle Sensibilität prüfen

 

Nicht jedes gemeinfreie Werk ist automatisch frei von kulturellen Bedeutungen oder Grenzen. Manche Inhalte, etwa Lieder, Tänze oder Rituale, stammen aus religiösen, indigenen oder besonders geschützten kulturellen Kontexten. Auch wenn sie rechtlich nicht mehr geschützt sind, sollte ihre Nutzung mit Umsicht erfolgen. Informieren Sie sich über den Ursprung, sprechen Sie im Zweifel mit den jeweiligen Vertretern oder Experten. Besonders bei Werken mit spiritueller oder zeremonieller Bedeutung ist ein verantwortungsvoller Umgang unerlässlich.

5. Rechte Dritter wahren

 

Die Nutzung gemeinfreier Werke entbindet nicht automatisch von anderen rechtlichen Verpflichtungen. Solche Werke können weiterhin durch Persönlichkeitsrechte, Datenschutzbestimmungen, vertragliche Vereinbarungen oder urheberpersönliche Rechte Dritter geschützt sein. Achten Sie insbesondere darauf, keine Rechte von abgebildeten Personen, Mitwirkenden, Lizenzgebern oder Erben zu verletzen. So sollte etwa ein gemeinfreies Foto einer historischen Person nicht ohne ausdrückliche Zustimmung für kommerzielle Zwecke oder Werbung genutzt werden, insbesondere dann, wenn der Eindruck entsteht, die abgebildete Person unterstütze ein Produkt oder eine Marke.

6. Wahrung der Werk-Integrität – mit Respekt neu interpretieren

 

Auch bei gemeinfreien Inhalten sollte die ursprüngliche Aussage und Bedeutung eines Werks respektvoll behandelt werden. Wenn Sie ein solches Werk bearbeiten oder neu kontextualisieren, vermeiden Sie irreführende Darstellungen oder Veränderungen, die den historischen oder kulturellen Gehalt verfälschen. Ein gemeinfreies Foto eines historischen Ereignisses sollte beispielsweise nicht in einem Kontext verwendet werden, der seine Aussage ins Gegenteil verkehrt oder es ins Lächerliche zieht. Verantwortungsvoller Umgang bedeutet nicht nur rechtliche Freiheit, sondern auch inhaltliche Sensibilität.

7. Zielmärkte prüfen

 

Achten Sie darauf, welche Länder Ihr Online-Angebot tatsächlich adressiert, etwa anhand von Sprache, Währung, Lieferhinweisen oder expliziten Versandbeschränkungen. Durch den gezielten Ausschluss bestimmter Länder (z. B. „Lieferung nur innerhalb der EU“) oder den Einsatz von Geoblocking kann die Reichweite rechtlich eingegrenzt werden. Denn: Was in einem Land rechtlich frei verwendet werden darf, kann in einem anderen weiterhin urheberrechtlich geschützt sein.

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